“Was steckt in unserer Kleidung?”

Meine Mutter hat mir zu Weihnachten einen Norwegerpulli gestrickt. Sie hat darauf geachtet, dass die Wolle bio ist. Auch hat sie viel Zeit investiert, immer wieder die Fäden aufgemacht und neu gestrickt, um es so perfekt wie möglich zu machen. Dieser Pulli ist mein Lieblingsstück, weil ich weiß, wie viel Liebe dahinter steckt. Und ich weiß, ich werde ihn lange tragen. Warum kann es nicht mit allen Kleidungsstücken so sein? Warum ist Fast Fashion so zerstörerisch? Und wie können wir dem entgegenwirken? In Ihrem Buch „Was steckt in unserer Kleidung“ (erschienen im Löwenzahn Verlag im April 2022) geht Rebecca Burgess diesen Fragen nach. Ihre Antwort: Fibershed

Ich habe übrigens auch noch andere Pullis. Einen grünen Pulli aus einem typischen Geschäft. Woher kommt der grüne Pulli? Wo, wie und von wem wurde er hergestellt? Die meisten Menschen zucken mit den Achseln oder lächeln entschuldigend, weil sie eine leise Ahnung haben, dass ihr T-Shirt, ihre Hose, ihr Kleid oder eben ihr (oder mein) grüner Pulli in einem armen Land unter ausbeuterischen Bedingungen für Mensch und Umwelt hergestellt wurde. Während sich in den letzten Jahren ein immer größeres Bewusstsein für die Herkunft und den Anbau von Lebensmitteln eingestellt hat, bleibt das Wissen über den Ursprung von Kleidung meist auf der Strecke. 

Dabei sollten wir bei der Herkunft unserer Kleidung genauso anspruchsvoll sein wie bei der Herkunft unserer Bio-Salate, Bio-Karotten, Bio-Tomaten, etc. Es sind die gleichen Faktoren – „mikrobielles Leben, ein funktionierender Nährstoffkreislauf, kräftige Pflanzen, ganzheitliche Viehbewirtschaftung und widerstandsfähige Wassereinzugsgebiete“ (vgl. S. 105) – die den Boden sowohl für die Lebensmittel als auch für die Fasern unserer Kleidung produktiv machen. Und das versteht sich, ohne Pestizide, Insektizide oder fossile Brennstoffe. Wie früher. Denn die konventionelle Herstellung von Kleidung ist nicht nur für die Umwelt giftig und schädlich, sondern auch für die Menschen, die sie herstellen und für uns, die sie tragen. 

Rebecca Burgess hat den Faden wieder aufgenommen: Sie wollte Veränderung. Stück für Stück hat sie jeden Produktionsschritt in der Textilwirtschaft direkt vor ihrer Haustür in Nordkalifornien erarbeitet – in ihrem eigenen Garten oder Gärten von Freundinnen und Freunden. In ihrem Buch schildert sie eindrucksvoll und tief gehend, wie sie in ihrer Heimatregion mit Pflanzen, Tieren und menschlichen Fähigkeiten eine „bioregionale Garderobe“ (vgl. S.22) geschaffen hat. Und hier kommt der Begriff Fibershed, also Fasereinzugsgebiet, ins Spiel. Ähnlich der Slow-Food-Bewegung aus den 1980er Jahren, befolgen auch Fibersheds die Philosophie regional, fair und nachhaltig zu produzieren. Dabei gilt das Soil-to-Soil-Prinzip. Das heißt, dass unsere Kleidung kompostierbar ist, ohne Pestizide und Kunstdünger, und eben auch wieder zurück in den Kohlenstoffspeicher zurückkehren kann. Das geht nur, wenn sie aus Naturfasern besteht anstatt aus synthetischen Fasern (z.B. Acryl, Nylon und Polyester). Solche zerfallen nämlich in Mikroplastik und verursachen so Verschmutzung von Ozeanen, Böden und Wäldern. Dabei stützt Rebecca sich auf relevante Statistiken und beschreibt fundiert wie die konventionelle Textilindustrie seit Jahrzehnten den Klimawandel vorantreibt, ohne sich dabei argumentativ zu verhaspeln. 

Fibershed fragt: „Wie können wir zusammenarbeiten, um zeitgenössische Kultur- und Wirtschaftssysteme so zu verändern, dass sie allen Lebewesen zugutekommen und Regeneration fördern?“ (vgl. S. 23). 

Schließlich geht es bei Fibersheds auch um Gemeinschaft. Damit ein Kleidungsstück entsteht, trägt jeder, also von Bäuerinnen und Bauern, Färberinnen und Färbern bis zu Designerinnen und Designern gewissermaßen einen Faden dazu bei. Jeder ist innerhalb dieses Systems wichtig. Weltweit gibt es mittlerweile über 45 Fibersheds. Unter anderem auch das Fibershed DACH für Deutschland, Österreich und Schweiz. Das Interview mit der Nina Conrad von Fibershed DACH könnt ihr hier lesen. 

Rebecca ist es gelungen in ihrem Buch den komplexen Herstellungsprozess von Kleidung klar und verständlich aufzuzeigen. Man könnte schon fast von einer Uraufführung eines Stücks sprechen, der einem Schritt für Schritt vor die Augen führt, was es bedeutet, wenn Pflanzen gesät werden, für Farben gewonnen werden und warum es essentiell ist, dass Tiere, die Fasern für Wolle liefern, artgerecht gehalten werden etc. Mit Fibershed zeigt sie ein ganzheitliches System oder besser gesagt einen ganzheitlichen Kreislauf auf, wie nun ein grüner Pulli hergestellt werden kann, warum dieser Ansatz so wichtig ist, um wieder ein Bewusstsein für die Grundlagen der regenerativen Landwirtschaft zu schaffen.