„Gute Kleidung stärkt das Selbstvertrauen“
Eine kaputte Modepuppe aus dem ehemaligen Westen fasziniert die im Osten aufgewachsene Daniela Struck als Kind — sie näht ihr fortan alles von Prinzessinnenkleider bis Schlittschuhe. Heute blickt die Kostümdesignerin nach Stationen wie Vivienne Westwood und HUGO Boos auf ihre Karriere zurück und erzählt im Interview, was industriell gefertigte Kleidung von einer handgefertigter unterscheidet, was Slowfashion in ihrem Alltag bedeutet und warum wir unser Konsumverhalten überdenken sollten.
Daniela, wann bist du zum ersten Mal in Berührung mit „Schneidern“ gekommen? Und wie lange machst du das jetzt schon?
Vermutlich kam ich schon im Bauch meiner Mutter mit „Schneidern“ in Berührung, denn sie war Hemdenstepperin. Der entscheidende Moment, an dem meine Schneiderlaufbahn begann, war der Nachmittag, an dem mir meine Oma eine kaputte Modepuppe aus dem Westen überreichte. Diese Puppe hatte kurz geschnittene Haare und ein mit Pflaster geklebtes Bein. Ich nähte ihr fortan alles, was ich selbst nicht haben konnte: Prinzessinnenkleider, Schlittschuhe, lange Alltagskleider. Stundenlang saß ich bei meiner Oma auf der Veranda, mit Blick in den Hof, vor mir einen Haufen Lumpen als Stofflager und war unsagbar glücklich.
Mit 18, nach dem Abi hätte ich am liebsten Modedesign studiert. Ein Praktikum öffnete mir Türen und Selbstvertrauen für meinen Berufswunsch. So machte ich eine Schneiderlehre und später folgten einige Gesellenjahre bei Vivienne Westwood und HUGO BOSS und Studium an der HfBK Dresden.
Inzwischen nähe ich also seit über dreißig Jahren.
Was ist die besondere Herausforderung in deinem Beruf als Kostümdesignerin? Welche Hürden hast du als freischaffende Designerin?
Die Entscheidung für meine Entwürfe und meine Produkte ist oftmals eine Entscheidung gegen fremde Auftrags- und Produktvorschläge, die an mich herangetragen werden.
Das beginnt schon damit, dass ich mich seit einigen Jahren mit Mode statt mit Kostümen beschäftige. Momentan fühle ich mich mehr Mode hingezogen. In dem Moment, wo ich entscheide, dass ich zum Beispiel ein Kleid entwerfen und serienreif entwickeln möchte, kann ich zunächst nur vermuten, dass es sich verkaufen wird. Ob es tatsächlich ein beliebtes Kleid wird, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich kann es erst stückweise herausfinden je weiter das Kleid entsteht beziehungsweise, wenn es fertig ist.
Je länger ich meinen Beruf freischaffend ausübe, umso mehr lerne ich einzuschätzen, zu kalkulieren, abzuwägen, welche Idee ich realisiere und welche ich verwerfe.
Mich ganz bewusst gegen Dinge zu entscheiden, Ratschläge zugunsten meiner eigenen Einschätzung zu verwerfen und dann mutig für das alles geradezustehen — dies ist zutiefst befriedigend und beängstigend gleichermaßen.
Was bedeutet für dich Slowfashion und wie setzt du das konkret in deinem Arbeitsalltag um?
Ich trete der Schnelllebigkeit des „Fashionzirkus“ mit Bedacht entgegen. Das Zauberwort heißt Zeitlosigkeit. Kleidung soll so schön und so zeitlos gestaltet sein, dass sie bequem den schnellen Wandel der Mode übersteht. Die Materialien und die Verarbeitung müssen solide, langlebig und reparierbar sein. Wenn ein Kleidungsstück diese Kriterien erfüllt, brauche ich es nicht zu ersetzen.
Für meine Arbeit bedeutet das konkret: hinreißend schönes Design, perfekte Verarbeitung, solides Material und das Angebot eines Reparaturservice meiner Kleidung. Jedem meiner Entwürfe schenke ich seine Zeit zu reifen. Dies ist möglich, weil ich meine Kollektion nicht in jeder Saison wechsle, sondern sie weiter wachsen lasse, sie weiter entwickle. Mit dieser Arbeitsweise entsteht eine Schönheit, die beständiger ist und länger gut aussieht. Ich laufe der Mode nicht hinterher, sondern meine Mode läuft in ihrem eigenen Tempo.
Wie viele Arbeitsstunden braucht es bis ein Kleidungsstück (Mantel, Rock oder Kleid) fertig ist – von Lieferung des Stoffes bis zur letzten Naht?
An einem Faltenmantel arbeite ich ca. 1 -2 Monate. Das hängt davon ab, ob es eine Maßanfertigung ist odereine Standardgröße. Bei Röcken ist die Arbeitszeit ebenfalls abhängig vom Modell. Für meinen warmen Wollwinterrock brauche ich ca. 30 Stunden. Für ein Kleid nähe ich je nach Modell und Figur der Kundin 1-2 Wochen. Es gab aber auch schon ein Konzertkleid für eine Cellistin, das 200 Stunden brauchte.
Wo liegt deiner Meinung nach der Unterschied zwischen einem handwerklich und industriell gefertigtem Kleidungsstück?
Handwerklich gearbeitete Kleidung ist in ihrem gesamten Herstellungsprozess flexibler. Ich kann gerade bei Einzelanfertigungen vollkommen auf die Passform einerKundin eingehen. Nähte, die industriell geklebt werden, werden im Handwerk von Hand genäht und halten dementsprechend besser und länger. Das gleiche gilt für Knöpfe und Knopflöcher: die handgenähte Variante ist nicht nur schöner, sondern auch akkurater und langlebiger.
Außerdem gibt es natürlich handgearbeitete Details, die industriell gar nicht herrstellbar wären: Schmucktechniken, Blüten, Inkrustationen, handgearbeitete Knöpfe, viele Arten von Stickerei uvm. Ein handwerklich gefertigtes Kleidungsstück ist am Ende beinahe immer ein Unikat beziehungsweise es gibt nur eine kleine Menge davon. Industriell Gefertigtes gibt es massenweise.
Kleidungsstücke aus den bekannten Warenhäusern sind deutlich günstiger in ihrer Herstellung – warum sollte man dennoch sein Kaufverhalten überdenken und doch einmal mehr für einen Mantel oder Kleid ausgeben?
Wenn etwas weniger kostet, heißt das nicht, dass es weniger Arbeit, weniger Aufwand war, dieses Teil herzustellen. Ein industriell hergestelltes Kleidungsstück kann nicht mit einem handwerklichen verglichen werden. Beide Arbeitsprozesse verfolgen jeweils eine andere Philosophie. Deshalb ist es wichtig, besonders bei den günstig produzierten Kleidern hinter die Kulissen zu blicken und kritischen zu hinterfragen:Die Ersparnis durch ein kostengünstigeres Kleidungsstück wird von jemandem anderen bezahlt. Zum Beispiel von Schneidern, die weniger Lohn erhalten. Wenn am Material gespart wird, bezahlt oft die Natur den Preis für umweltschädliche Herstellungsprozesse, Chemiefasern, Ressourcenverschwendung usw.
Am Ende bezahlt auch unsere Kultur: weil es hierzulande immer weniger Menschen geben wird, die in der Lage sind, ihr Handwerk und ihren Beruf auszuüben und mit ihrem Können ansprechende, bezaubernde Mode zu erschaffen.
Wenn Schneider nur noch für das Reparieren der Mantelsäume oder der Billigjeans aufgesucht werden, wird es irgendwann niemanden mehr geben der hierzulande fähig ist einen hervorragenden Mantel oder eine sehr gute Hose zu fertigen.
Woher schöpfst du deine Motivation und Kreativität – und welche Rolle spielt dabei das Zeichnen für dich?
Meine Motivation schöpfe ich aus meiner Begeisterung für kunstvoll gearbeitete Kleidung und Textilien. Ich bin meinem Beruf leidenschaftlich verfallen und ziehe aus der Faszination für mein Metier schier unerschöpflichen Antrieb und Energie. Meine Kreativität nähre ich sehr bewußt. Durch „machen machen machen“, zeichnen und collagieren, fotografieren, viel anschauen, Gartenarbeit und Schlafen.
Zeichnen ist für mich so Vieles: Es trainiert meinen Blick, beruhigt mich, schenkt mir Geborgenheit, lässt mich entspannen, macht mich glücklich. Außerdem kann ich zeichnerisch schneller visuell denken und meine Ideen schneller und anschaulicher notieren als wenn ich sie niederschreiben würde.
Hast du persönlich ein Lieblings-Kleidungsstück? Hast du es auch selbst designt und geschneidert?
Ich habe sehr viele Lieblingsteile. Wenn ich mich unter meinen selbstgeschneiderten entscheiden müsste, wäre es definitiv mein Faltenmantel. Egal was es für ein Tag ist — im Winter ist er immer warm, immer elegant, er wertet jedes Outfit auf. Er ist ein Alleskönner beim Kombinieren eines Tagesoutfits. Gerade weil er so warm ist, ist er ein toller Begleiter für Winterkleider. Kleid plus Mantel — damit ist für mich der Tag gerettet. Es fühlt sich einfach nur gut an. Und dieser Mantel kann, was gute Kleidung kann: Selbstvertrauen stärken, Geborgenheit schenken, in eine fremde Welt entführen, einfach cool sein.
Wenn ihr mehr über Daniela erfahren möchtet, besucht gerne ihr digitales Atelier: www.danielastruck.de